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Bundestagswahl: Schönes Wetter schlecht für die Demokratie!

Artikel: Wetter macht Wähler

Bayerns Wähler sind kühle Typen, Niedersachsen haben ein sonniges Gemüt.

Wenn Parteien auf der Suche nach Gründen für ihr schlechtes Abschneiden bei Wahlen suchen, dann steht das Wetter hoch im Kurs. Ausnahme: die jüngste Bundestagswahl. Da blieb die Meteorologie als Ausrede außen vor. Dabei belegt die Statistik wirklich: Gutes Wetter ist schlecht für die Demokratie.

Warm und sonnig? Da geht der Wahlberechtigte, vorzugsweise der bayerische, lieber in den Biergarten statt zur Urne; der Berliner vergnügt sich am Baggersee. Kalt und regnerisch? Da mag sich niemand den Tag noch weiter versauen, indem er in düsteren Schulturnhallen, umhüllt vom abgestandenen Schweißgeruch, zwei Kreuzchen auf triste Listen setzt. Der Wählergeist war willig, doch das Sitzfleisch war schwach … Warum nicht einmal solche Behauptungen kritisch hinterfragen? Daten dazu gibt es frei verfügbar im Internet. Wahlrecht.de veröffentlicht die Wahlbeteiligung zu allen Bundestags- und Landtagswahlen. Auf Wikipedia sind die genauen Wahltermine dokumentiert, und Darksky.net liefert das passende Wetter dazu. Und voilà: Es gibt einen signifikanten, also statistisch nicht mehr durch zufällige Schwankungen erklärbaren Zusammenhang zwischen Wetter und Wahlbeteiligung. Je wärmer es ist, -desto weniger Bürger geben ihre Stimme ab.

Fünf Bundesländer sind sehr temperaturempfindlich

Getrennt untersucht nach den 17 Wahlarten, 16 Landtags- und den Bundestagswahlen, ist in fünf Bundesländern der Einfluss der Temperatur ebenfalls signifikant. Dieses Ergebnis zeigt deutlich mehr, als durch Alpha-Fehler-Kumulierung zu erwarten wäre. „Nicht signifikant“ heißt dabei nicht, dass es keinen Zusammenhang gibt. Es kann auch einfach bedeuten, dass die Daten (noch) nicht ausreichen, um diesen mit ausreichend hoher Sicherheit zu bestätigen. Das heißt, es gibt einen signifikanten Zusammenhang zwischen Temperatur und Wahlbeteiligung. Bemerkenswert dabei: Die Richtung des Einflusses zwischen den Wahlarten schwankt. In Bayern, Berlin und im Saarland gibt der Wähler eher bei kühlen Temperaturen seine Stimme ab, in Hessen und in Niedersachsen ist es umgekehrt. (Kausale Interpretationen, beispielsweise Spekulationen über die zur Verfügung stehenden Alternativen der Sonntagsgestaltung, überlassen wir dem Leser.)

Bei Bundestagswahlen ist der Einfluss deutlich schwächer. Auch hier kann die Statistik nur den Zusammenhang feststellen, aber nicht ursächlich erklären: Korrelation ist eben keine Kausalität. Vielleicht sind die Wahlen wichtiger und man opfert dafür eher ein Stündchen seiner Freizeit? Oder das bundesweite Wetter schwankt regional doch zu stark, so dass die Effekte sich gegenseitig überlagern?

Statistisches Denken heißt aber: Glaube nicht alles, was du siehst – zumindest nicht sofort. So drängt sich sofort eine alternative Erklärung auf: Der Zusammenhang liegt womöglich schlicht an der über die Jahre tendenziell abnehmenden Wahlbeteiligung, die rein zufällig zusammenfällt mit einer langsamen Erwärmung des Klimas, oder er erklärt sich aus Verschiebungen in den Monaten, in welche die Wahlen gelegt wurden. Glücklicherweise gibt es statistische Werkzeuge, die solche alternativen Hypothesen berücksichtigen und als Erklärung ausschließen können. Die Regressionsanalyse zeigt: Die Temperatur bleibt selbst mit Kontrollvariablen für Jahr, Monat und den Wettertyp ein -signifikanter Einflussfaktor.

Rechnerisch kostet jedes Grad Celsius unsere Demokratie 0,46 Prozentpunkte Wahlbeteiligung. Bei Wetterumschwüngen, die im September gut und gern Unterschiede von zehn bis 15 Grad Celsius innerhalb weniger Tage ausmachen können, sind das potenziell mehr als fünf Prozentpunkte. Damit ist die Temperatur wichtiger als die Demokratiemüdigkeit, denn mit jedem Jahr nimmt die Wahlbeteiligung im Durchschnitt nur um 0,3 Prozentpunkte ab. Das heißt: Gutes Wetter ist schlecht für die Demokratie.

Nun betonen Politiker oft und gern, wie wichtig die Wahlbeteiligung ist, aber eigentlich interessiert sie nur, inwiefern sie von einer höheren oder niedrigeren Wahlbeteiligung profitieren. Spätestens seit Peter Altmaiers Ratschlag an die Protestwähler, lieber zu Hause zu bleiben, statt ihr Kreuzchen bei der AfD zu machen, sollte daran kein Zweifel mehr bestehen. Wie passend, dass gerade die Union stärker unter Ferien und gutem Wetter zu leiden vorgibt. Aber stimmt das?

Ein erster Blick auf die Rohdaten erscheint vielversprechend: Klare Trends zeichnen sich bei nahezu allen Parteien im Bundestag ab – außer (ausgerechnet) bei der CDU/CSU. Kontrolliert man jedoch wiederum die störenden Einflüsse von Jahr und Monat, so bleibt nicht mehr viel übrig von der Macht des Wetters. Kein einziges signifikantes Resultat zeigt sich mehr bei Parteien mit Perspektive für den Bundestag. Bei einigen anderen Parteien hingegen zeichnen sich einige durch Wähler aus, die sich durch gutes Wetter zur Stimmabgabe motivieren lassen. Erwähnt sei insbesondere die ÖDP, deren Wähler man bei Wochenend’ und Sonnenschein doch eher im Grünen vermuten würde.

Während der Einfluss der Temperatur auf die absoluten Ergebnisse keiner Partei signifikant ist, lässt sich bei den Verhältnissen der Ergebnisse ein solcher Einfluss feststellen. Wir fokussieren zunächst auf die beiden großen Parteien, Union und SPD, weil deren Ergebnisse aufgrund der hohen Zahl an Wahlen am stabilsten sind und weil sie augenscheinlich auch eine auseinanderdriftende Tendenz aufweisen. Im Vergleich zur Union verliert die SPD signifikant, und zwar mit jedem Grad 0,2 Prozentpunkte. Bei den im September möglichen Schwankungen sind hier also gut und gern zwei Prozentpunkte Änderung am Ergebnis möglich. Dies kann den Ausschlag zwischen Schwarz-Gelb und Großer Koalition geben.

Als Trostpflaster für die SPD bleibt: Nimmt man nur Bundestagswahlen, so ist das Ergebnis deutlich schwächer und nicht signifikant. Das könnte aber nicht so tröstlich sein, wie die Genossen gern hätten. Erstens gibt es viel weniger Bundestagswahlen. Damit ist es automatisch schwerer, signifikante Resultate zu erhalten. Zweitens schlägt sich die FDP signifikant besser als die SPD; sie gewinnt mit jedem Grad sogar 0,1 Prozentpunkte. Der überdurchschnittlich warme Wahlsonntag ist also, statistisch gesehen, zumindest mit verantwortlich dafür, dass es die sonnige Zukunft der Großen Koalition ziemlich verhagelt hat.

(Dieser Artikel erschien im Oktober 2017 in der Printausgabe von „Tichys Einblick“.)

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