„Nur mit wissenschaftlichen Auswertungen, die unabhängig sind und auf einer sehr breiten Grundlage basieren, können für die Politik die notwendigen Entscheidungshilfen in kürzester Zeit zur Verfügung gestellt werden“, sagte DAGStat-Vorsitzender Prof. Dr. Friede in Zusammenhang mit einer aktuellen Empfehlung für eine nationale Strategie zur Erhebung und Verarbeitung von Daten.
„Unbedingte Voraussetzungen dafür sind volle Transparenz schon bei den Datenerhebungen, volle Transparenz bei den verwendeten Modellen und der Auswertung der Datensätze sowie volle Transparenz bei den politischen Entscheidungswegen.“ COVID-19 habe Defizite auf verschiedenen Ebenen aufgezeigt, vielfach werde auch von Vertrauensverlusten berichtet. Für künftige Krisenfälle müsse jetzt dringend eine solide Basis geschaffen werden.
Aber es geht diesmal nicht um Corona.
„Anscheinend wird die Bedeutung korrekter und von politischem Einfluss unabhängiger Statistiken für die Demokratie auch in Deutschland noch nicht ausreichend gewürdigt.“
Dieses Zitat stammt aus der Januar-Unstatistik aus dem Jahr 2018 zum Fall des griechischen Statistikers Andreas Georgiou. Mehrere Nobelpreisträger und vierzig Statistikorganisationen hatten einen Protestbrief unterzeichnet und die Einstellung der Verfahren gegen Georgiou gefordert. Doch während „Alternative Fakten“ in Deutschland zum Unwort des Jahres gekürt und in zahllosen Talk Shows über „Fake News“ berichtet wurde, während Politiker Gesetze zur Einschränkung von deren Verbreitung verabschiedeten, wurde die staatliche Verfolgung eines Statistikers, der korrekte Zahlen veröffentlicht, bei uns weitgehend ignoriert.
Andreas Georgio wegen Ehrlichkeit verurteilt
Griechenland: Andreas Georgiou korrigierte das Staatsdefizit von 3,9 auf 15,4 Prozent - und bekommt nun zwei Jahre Haft auf Bewährung.
Kann man wegen Ehrlichkeit verurteilt werden?
Im Fall Andreas Georgiou dürfte genau das geschehen sein – und der Fall ist noch lange nicht abgeschlossen. Man sei „zutiefst besorgt, dass ein falsches Narrativ die wissenschaftliche Integrität einer hoch angesehenen Arbeit beschädigt hat, die sich mit Griechenlands problematischer fiskalstatistischer Berichterstattung aus den 2000er Jahren befasst“, schrieb die American Statistical Association (ASA) vor wenigen Tagen in einer Pressemitteilung.
Andreas Georgiou wechselte im August 2010 vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zur griechischen Statistikbehörde ELSTAT und übernahm deren Leitung. Hintergrund war die Forderung der Länder der Eurozone, dass Griechenland genaue Statistiken bereitstellte, damit Finanzhilfen zur Bewältigung der Schuldenkrise bereitgestellt wurden. Georgiou sollte dafür sorgen, dass die Regeln der EU zur Produktion amtlicher Statistik voll umgesetzt wurden und dass ELSTAT unabhängig von der Regierung und nach den Grundsätzen der Datenethik agieren konnte. Die von ihm bereitgestellten Statistiken und die dahinterliegende Methodik wurden von der europäischen Statistikbehörde Eurostat seit 2010 insgesamt 21-mal in halbjährlichen Abständen überprüft und akzeptiert.
Gleichwohl wurde Georgiou dreimal angeklagt, weil er das Haushaltsdefizit 2009 „aufgebläht“ haben soll, was Griechenland zu unnötig harten Sparmaßnahmen gezwungen habe. Trotz aller Gegenbeweise und trotz starker internationaler Unterstützung wird er seit mittlerweile zehn Jahren von der griechischen Justiz verfolgt. Unter anderem wurde er zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, weil er die Zustimmung des damaligen ELSTAT-Aufsichtsgremiums (das politisch besetzt war) nicht einholte, bevor er die revidierten Haushaltszahlen an Eurostat meldete. Dabei war eine solche Zustimmung weder nach dem griechischen Statistikgesetz noch nach den EU-Vorschriften notwendig:
ELSTAT sollte unabhängig sein, sein Leiter eigenverantwortlich handeln.
Schließlich wurde Georgiou auch noch vom Berufungsgericht wegen „Verleumdung“ des damaligen Direktors der Abteilung für Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen des Statistikamtes verurteilt.
Die ASA schreibt dazu: „Georgiou, der loyale und äußerst fähige griechische Chefstatistiker von 2010 bis 2015, wurde zu Unrecht als Sündenbock für die Sparmaßnahmen hingestellt, die mit den Krediten der EU und des Internationalen Währungsfonds aus den frühen 2010er Jahren eingeführt wurden, um Griechenlands damals angeschlagener Wirtschaft zu helfen. Die Verfolgung eines wissenschaftlichen Regierungsbeamten, der seinen Job mit Strenge und Integrität macht, um offizielle Statistiken zu erstellen, ist zutiefst besorgniserregend. Die American Statistical Association empfiehlt, diese Ungerechtigkeit zu erkennen und zu beheben.“
News Listing
American Statistical Association President Robert Santos recently decried the Greek appeals court decision finding former Greek chief statistician Andreas Georgiou liable for slander with the following statement:
Im September 2020, nach 3 Jahren Verzögerung, hat das Berufungsgericht zwar Georgious Berufung angehört, weil er von einem erstinstanzlichen Zivilgericht dazu verurteilt wurde, den Kläger wegen „einfacher Verleumdung“ zu entschädigen. Denn er hatte wahrheitsgemäße Aussagen gemacht, die wohl ungewollt, aber unvermeidlich den Ruf und die Ehre des Klägers, des Direktors der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Statistikamtes von 2006 bis 2010, beschädigten:
Georgiou hatte im Jahr 2014 mit einer Pressemitteilung die revidierte Statistik des Staatsdefizits und der Staatsverschuldung 2006 bis 2009 verteidigt, die von ELSTAT im Jahr 2010 unter seiner Aufsicht erstellt worden war – diese Verteidigung ging zwangsläufig mit der Feststellung einher, dass die früheren Statistiken fehlerhaft waren. Die Pressemitteilung wurde von großen Teilen der griechischen politischen Welt anhaltend angegriffen und wiederholt gerichtlich untersucht und verfolgt.
Im Klartext bedeutet „einfache Verleumdung“ in diesem Fall, dass Georgiou die Wahrheit gesagt hat, die er nicht hätte sagen dürfen.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts vom August 2017, gegen die der Angeklagte Berufung eingelegt hatte und die ihn zur Zahlung von Schadensersatz an den Kläger verurteilt hatte. Die einzige Änderung gegenüber der Entscheidung von 2017 scheint zu sein, dass Georgiou nicht verpflichtet wird, eine „öffentliche Entschuldigung“ gegenüber dem Kläger abzugeben, indem er große Teile des Gerichtsurteils in der Zeitung Kathimerini veröffentlicht. Dies kann man auch so interpretieren, dass die öffentliche Empörung innerhalb und außerhalb Griechenlands, die auf eine solche Veröffentlichung folgen würde, möglichst vermieden werden soll.
Bei der Verteidigung der Defizit- und Schuldenstatistiken von 2009 im Jahr 2014 waren diese von Eurostat bereits in acht halbjährlichen Prüfungen validiert worden waren. Diese ergaben, dass Georgiou die internationalen statistischen Prinzipien und die griechischen und EU-Gesetze beachtet hatte.
Konkret hatte er sich an die UN-Grundprinzipien der amtlichen Statistik (Prinzip 4: „Die statistischen Ämter sind berechtigt, zu fehlerhafter Interpretation und Missbrauch von Statistiken Stellung zu nehmen.“) und an den Verhaltenskodex für europäische Statistiken (Prinzip 1.7: „Die nationalen statistischen Ämter … nehmen öffentlich Stellung zu statistischen Fragen, einschließlich Kritik und Missbrauch von Statistiken, soweit sie dies für angemessen halten.“) gehalten. Die Einhaltung des European Statistics Code of Practice wird im EU-Statistikgesetz (Verordnung 223) und im griechischen Statistikgesetz (Gesetz 3832) gefordert. Ebenso hat sich Georgiou an das griechische Gesetz 4051 gehalten, das von griechischen Beamten verlangt, „die [griechische amtliche Statistik] gegen alle Versuche zu verteidigen, ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben“.
In diesem Fall steht nicht nur das Schicksal eines einzelnen Statistikers auf dem Spiel.
Es geht um die Befolgung statistischer Grundsätze in den verschiedenen Prozessen der Erstellung und Berichterstattung, einschließlich des Beistands zu amtlichen Statistiken. Es geht auch um die Anreizstrukturen für griechische amtliche Statistiker jetzt und auf lange Sicht. Was in diesem Fall passiert, wenn er den griechischen Obersten Gerichtshof erreicht, wird Auswirkungen in Griechenland und in der EU im weiteren Sinne haben, sowohl für die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte als auch für die Solidität der Politik, die auf ehrlichen und zuverlässigen amtlichen Statistiken beruhen soll.