Dieses Gutachten wurde im Auftrag des Lebensmittelverbands Deutschland e.V. von Katharina Schüller, CEO STAT-UP GmbH und Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft, sowie Prof. Walter Krämer, Prof. em. TU Dortmund, angefertigt. In ihrer Arbeit untersuchen sie die wissenschaftlich-statistische Basis eines vielfach geforderten Werbeverbots für Nahrungsmittel, die hinsichtlich ihres Zucker-, Salz- oder Fettanteils nicht den Anforderungen des WHO Nährwertprofil-Modells für Europa (WHO, 2023) entsprechen.
Die Evidenz eines unmittelbaren, kausalen Zusammenhangs zwischen der Werbeexposition von Kindern und vermehrtem Übergewicht bis hin zu Adipositas ist nicht gegeben, so die Autoren. Weder ist die nachhaltige Wirkung von Werbung auf den vermehrten Verzehr von sog. HFSS-Lebensmitteln (high in fat, salt or sugar) bei Kindern wissenschaftlich klar belegt, noch stellt irgendeine Studie einen kausalen Zusammenhang zu Übergewicht her. Im Gegenteil, dieser Zusammenhang wird nahezu gar nicht untersucht. Gegenstand der aktuellen Forschung ist lediglich der zeitlich stark begrenzte Konsum (häufig weniger als eine Stunde) von HFSS-Lebensmitteln durch Kinder nach deren Exposition gegenüber HFSS-Lebensmittel-Werbung.
Eine wissenschaftliche Grundlage, aus der sich ein evidenzbasiertes Werbeverbot zur Gesundheitsförderung ableiten ließe, ist somit nicht hinreichend gegeben. Vielmehr gilt: Alle untersuchten Studien, die im Kontext des diskutierten Verbots zitiert werden,
stellen entweder keinerlei derartige Behauptungen auf,
sind methodisch nicht geeignet konstruiert, um einen kausalen Zusammenhang zu gesundheitlichen Endpunkten (Übergewicht, Adipositas) aufzeigen zu können, oder
sind inhaltlich und methodisch derart mangelhaft, dass die Aussage der Studie haltlos ist.
Der erste Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass Studienergebnisse von Dritten falsch interpretiert werden. So spricht Prof. Bertold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit, fälschlicherweise davon, die Studienlage zum Werbeeinfluss auf Kinderernährung sei „glasklar“ (Roggenkamp, 2023).
Der zweite Kritikpunkt umfasst unter anderem das Problem, dass mögliche Risikofaktoren, die eigentlich für das Auftreten des beobachteten Effekts verantwortlich sind, nicht berücksichtigt werden oder dass die Beobachtungsdauer schlicht zu kurz ist.
Der dritte Kritikpunkt, methodische Mängel, zeigt sich u.a. in Form der sogenannten „Alpha-Fehler-Aufblähung“ (Type I error inflation), fehlender Auseinandersetzung mit methodischen Schwächen und statistischer Unsicherheit sowie ungeeigneten statistischen Methoden.
Zusätzlich zu diesen Kritikpunkten identifizieren die Verfasser des Gutachtens das Problem der Publikationsverzerrung (Publication Bias). Eine solche tritt auf, wenn Studien mit statistisch signifikanten Effekten häufiger in Fachjournalen publiziert werden, wodurch überdurchschnittlich Zufallseffekte publiziert werden.
Zum Ende des Gutachtens skizzieren die Autoren kurz, wie eine wissenschaftlich fundierte Studie zur Untersuchung der Werbeauswirkungen von HFSS-Produkten auf die Gesundheit von Kindern aufgebaut sein müsste, um eine statistisch-methodisch solide Evidenzbasis zur Verfügung zu stellen.
Referenzen
Roggenkamp, G. (2023). Kinderschutz hat Priorität: Werbung für Dickmacher jetzt stoppen! Pressemitteilung der Stiftung Kindergesundheit. http://idw-online.de/de/news809923
WHO. (2023). WHO Regional Office for Europe nutrient profile model: Second edition. WHO Regional Office for Europe. https://www.who.int/europe/publications/i/item/WHO-EURO-2023-6894-46660-68492
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